Der Ursprung der Ginsheimer Kerb

(von Georg Dauborn† sen.)

Die 'Lustigen Kerweborsch' von 1921

Von Georg Dauborn† sen. (Auszug aus der Kerwezeitung von 1967/68)

Dass der Name "Kerb" von "Kirchweih" abgeleitet ist, dürfte den Einheimischen bekannt sein. Wir, hier in Hessen, verschlucken ja so gerne die Endsilben, und so ist über Kirchweih - Kirwe - Kerwe der Ausdruck "Kerb" entstanden.

Aus einer Festschrift zur Wiedereinweihung der evangelischen Kirche am 23. Januar 1927 konnte ich mit freundlicher Genehmigung von Herrn Dekan Blum das Nachfolgende auszugsweise übernehmen:

Copyright Jürgen Westhauser

In einem Kirchenbuch steht eine Notiz, dass das Jahrhundert-kirchweihfest der im Jahr 1746 erstellten Kirche am 30. und 31. August 1846 ganz großartig gefeiert wurde, und zwar so, wie man 100 Jahre zuvor die Einweihung der Kirche gefeiert hatte.

Die Kinder sangen unter der Leitung des Ersten Lehrers, Johann Straub, zweistimmig ein Lied. Nachmittags sangen die Sänger des Gesangsvereins vierstimmig ein Lied unter der Leitung des Zweiten Lehrers, Karl Weber.

Bei dem Fest gab die Gemeindekasse 2 Gulden und 20 Kreuzer für den Druck eines von Pfarrer Wagner verfassten Liedes aus.

Beim Volksfest am folgenden Tag fand eine Schifferwettfahrt statt. Die Kähne fuhren vom "Rückenwörth[1]" nach einem im unteren Rhein aufgestellten Boot, das mit Flaggen geschmückt war. Zwei Brüder Rauch und Friedrich Traupel erhielten den ersten Preis. Trennhäuser, der beim Erklettern des Kahns ins Wasser gefallen war, den zweiten und Reinheimer den dritten Preis. Dienstag Mittag beschloss eine Maskerade die Volksbelustigung.

Soweit die Schilderung dieses Kirchweihfestes 1846 aus der Kirchenchronik. Fast 100 Jahre wurde unser Kirchweihfest wie damals am letzten Sonntag im August gefeiert.

Erst, als mit der Einführung des Mainzer Weinmarktes der Zustrom der Kerwebesucher aus Mainz nachließ, und als selbst Ginsheimer nach Mainz abgezogen wurden, hat man das Fest auf den zweiten Sonntag im August vorverlegt (dies wurde dann später wieder rückgängig gemacht und die Kerb fand wieder am vierten Wochende im August statt).

Auch der heute übliche Umzug der Kerweborsch dürfte noch mit der in der Chronik erwähnten Maskerade identisch sein.

In der Vereinsgeschichte der Ginsheimer Gesangvereine kann man lesen, dass sich am Kirchweih-Dienstag, Ende August 1842, eine Schar junger Burschen zusammen mit dem Lehrer Weber im Hause Philipp Stahl neben dem Pfarrhaus versammelte, um Kirchweih zu feiern. Aus dieser Zusammenkunft gründete sich schon im September
1842 mit dem jungen Lehrer Weber als Vorsitzenden und Dirigenten der erste Ginsheimer Gesangsverein.

Es dürfte anzunehmen sein, dass die jungen Burschen, die sich am Kerwe-Dienstag 1842 zusammenfanden, auch die ersten Ginsemer Kerweborsch waren. In der späteren Zeit, sehr wahrscheinlich mit der Einführung der Militärdienst-
zeit, übernahmen dann die 19-jährigen das Amt der Kerweborsch.

Diese jungen Burschen mussten sich ein Jahr vor Ihrer Einberufung zum Militär einer Musterung unterziehen, die im Frühjahr stattfand. Lange vorher kamen die neuen Rekruten, so wie heute die jeweiligen Kerweborsch, an Gemein-
schaftsabenden zusammen, um sich auf das große Ereignis vorzubereiten.

Es wurde tüchtig in eine Kasse gespart, einheitliche achteckige Kappen wurden bestellt, die zu der Zeit, die mir noch in Erinnerung ist, von August Traupel geliefert wurden. Es sei mir erlaubt zu sagen, dass der Lieferant unter dem Firmennamen Wollschockes in Ginsheim bekannt war.

Am Tage vor der Musterung ging es gemeinschaftlich nach Mainz in das Neubrunnenbad, mehr wegen der Gaudi als des Reinlichkeitsbedürfnisses. Es wurden mit großen Körben bei den Ginsheimer Einwohnern Eier gesammelt, und
am Tage der Musterung ging es mit pferdebespannten Bauernwagen in aller Frühe schon nach Groß-Gerau. Die
lange vorher schon eingeübten Rekrutenlieder wurden dabei gesungen.

Das heute noch bekannte Lied: Kerweborsch sein lust'ge Brüder stammt noch aus dieser Zeit, nur statt Kerweborsch wurde die Waffengattung genannt. Das Lied schloss mit dem Kehrreim: Sie werden uns schon kriehe, aber langsamche, se krieh'n uns aber nett.

Am Nachmittag kamen die Gemusterten mit stockheiseren Kehlen zurück, geschmückt mit Bändern (Rekruten-
schlepp), den Mützen und Abzeichen von Artellerie, Kavallerie, Infrantrie usw. oder auch mit Ein Jahr zurück.

Am Ortseingang wartete schon eine Musikkapelle und mit 2 Fahnenträgern an der Spitze gab es einen Umzug durch die Dorfstraßen. Dieser Umzug war schon eine Vorübung für den dann im Herbst stattfindenden Kerwe-Umzug.

der Merkel hoch zu Ross

Bild von 1958: Georg Dauborn jun. als Merkel

Die Kerb wurde aufgezogen: wieder führte eine Musikkapelle den Zug an. Es folgten 2 Fahnenschwinger und der Merkel hoch zu Ross, von 2 ebenfalls berittenen Begleitern flankiert.

Dann war da noch der Mundschenk mit weißer Schürze und gefülltem Weinkrug. Auf dem geschmückten Kerwewagen folgten die übrigen Kerweborsch mit Mützen und über der Brust getragenen Bändern in der von diesem Jahrgang gewählten Farbe.

Diese Zugordnung hat sich traditionsgemäß bis heute erhalten. Auch der Schlachtruf Wem gehört die Kerb? Unser!! wurde von Jahrgang zu Jahrgang weitergegeben.

Wenn man nun für die Bezeichnung Merkel eine Erklärung sucht, sei vielleicht auf R. Wagners Die Meistersinger von Nürnberg verwiesen. Dort vermerkt der Preisrichter, Merker genannt, die Fehler der Preissänger beim Vortrag ihres Liedes.

Ähnlich glossiert auch der Kerwe-Merkel in seinem Kerwespruch das Ortsgeschehen des vergangenen Jahres, ein-
schließlich der Fehler und Schwächen mancher Ortsbewohner. Er hat sich im Jahr vor der Kerb alles fein vermerkt,
in Versform gesetzt oder eine andere Person mit dieser Arbeit beauftragt.

Der Kerwespruch wird nun bei dem Umzug vor jeder Gastwirtschaft vorgetragen und mit einem Hoch auf den jeweiligen Wirt wird von diesem ein kleines Geschenk in flüssiger Form dankbar entgegengenommen.

Die Gepflogenheit, Fehler und Schwächen von Ortsbewohnern herauszustellen, ist wohl eine abgemilderte Form des früher üblichen Gemeinde-Prangers. In den vielen Kerwesprüchen, die ich nach dem Krieg bis heute verfasst habe,
war es mir immer ein Anliegen, persönliche Verfehlungen so wenig wie möglich zu kritisieren und mehr die allgemein bekannten Ginsheimer Ereignisse zu glossieren.

Georg Dauborn


  1. Rückenwörth: = Roggenwörth, grenzt an die Neuaue zwischen "Frankfurter Wiese" und Altrhein