Chronik
Gemeindeschreiber Hans-Benno Hauf 2011
Festrede zur Auftaktveranstaltung am 27. Februar 2011
Sehr geehrter Herr Bürgermeister,
sehr geehrte Damen und Herren,
Ginsheim ist in 22 Jahren um sage und schreibe 415 Jahre gealtert. Sie glauben das nicht?
1989 noch war eine Urkunde von Kaiser Heinrich VI. vom Februar 11901 die älteste bekannte Erwähnung. Wir haben also 1990 die 800- Jahr-Feier verschlafen.
Das sollte uns nicht mehr passieren, denn inzwischen wurde das alte Gennesheim schon 1160 im Codex Eberhardi2 gefunden. 850 Jahre alt im Jahre 2010.
Für ein Fest zur rechten Zeit war dieselbe aber zu weit fortgeschritten.
Nun, aufgeschoben ist nicht aufgehoben und so wurde ausgehoben eine Arbeitsgruppe zur Vorbereitung des Festjahrs 2011.
Und dann: ja dann konnte Gennesheim in einer Schenkungsurkunde vom 4. März 7853 als unser Ginsheim identifiziert4 werden.
1225 Jahre alt ist es also, unser Ginsheim. Und so beginnen wir heute mit dem Feiern.
Sehr geehrte Damen und Herren,
nachdem ich für den heutigen Tag zugesagt hatte, kam ich doch ernsthaft in Zweifel ob eines geeigneten Themas, in dem sich ja alles um Ginsheim drehen sollte.
Soll es um die adeligen Herren, Besitztümer, Berufe, Familien, Verwaltung, Kultur, Geschichten und Schicksale sich drehen oder um eine Definition wie: Was ist ein echter Ginsheimer?
Etwa die Neukreation eines alkoholischen Getränkes in einer Ginsheimer Traditionswirtschaft oder das so benannte helle Körnerbrötchen in der Auslage einer Bäckerei in der Ortsmitte?
Der is ja koon echte Ginsemer, hat ein von sich überzeugter Ginsemer Einwände gegen meine Kandidatur auf die Liste für die Wahl zur Gemeindevertretung gerufen.
Entrüstet habe ich geantwortet, dass der Gastwirt Karl Volz in der Hauptstraße mit seinem Opel Blitz vor 59 Jahren half, meine Mutter von Schließe-Hübners nach Mainz in das Krankenhaus zu fahren, nachdem er kurzerhand alle Skatbrüder aus seiner Wirtschaft geworfen hatte.
Irgendwann viel später – das Argument hatte offenbar gezogen, ich war Gemeindevertreter - habe ich versucht, dem echten Ginsemer mal auf den Grund zu gehen und jeden den ich fragte hatte von ernsten und weniger erst gemeinten Kriterien zu berichten.
„Auf jeden Fall e Hausgeburt“, in de Schwarzbach schwimme gelernt, oder bei de Liebesinsel ins Eis eigebroche, süß Blut, aber schnakenresistent und so weiter und so weiter...
Und selbst meine Frau hat offenbar nach 37 Jahren, die sie es mit mir in Ginsem aushält, keine nachhaltigen Rechte erworben und ist halt immer noch „von de Bursch“.
Gab es eigentlich einen Ur-Ginsheimer? Wer war das?
War es tatsächlich ein Franke namens Gimmo mit seiner Sippe, wie der Bischofsheimer Pfarrer und Historiker Dr. Heinrich Steitz 1950 vermutete?
Oder wanderte etwa ein Vorfahre der heutigen Freiherren und Freifrauen von Ginsheim5 vor tausend Jahren aus der Stammburg in Bayern in die Mainspitze aus und gründete hier einen Hof und Flecken namens Ginsheim?
Wo kamen sie her, die Menschen, die tausende von Jahren am Rhein und später Altrhein lebten und von und zu Ginsheim, also Ginsheimer waren? Schriftliche Quellen aus früher Zeit geben kein Zeugnis.
Funde aus Eisenzeit in Nähe des Holzweges und vor der Dammstraße belegen eine Besiedlung schon vor 2500 Jahren.6
Den römischen Geschichtsschreibern war Ginsheim wegen offensichtlicher Bedeutungslosigkeit eine Erwähnung jedoch nicht wert, obwohl sie doch 400 Jahre dazu Zeit hatten.
Noch heute nachweisbar sind zwei Römerstraßen durch unsere Gemarkung sowie die Eichenholzbrücke des Trajan über den Main, deren Pfahlreste bei extremem Niedrigwasser 19597 und 1972 zu sehen waren und vermessen wurden.
Aus dem ersten Jahrhundert8 nach Christus ist uns ein römisch-keltischer Reiter vom Stamm der Lingoner bekannt, dessen Grabstein9 beim Bau der Gustavsburg 1631 gefunden wurde.
Man könnte also sagen, dass der erste namentlich bekannte Ginsheimer Togitio hieß.
Hundert Jahre später setzt gemäß seinem Gelöbnis ein Claudius Quartinus, ein römisch-keltischer Soldat vom Stamm der Häduer10 auf seinem Grundstück einen Jupiteraltar, dessen Basis11 ebenfalls beim Bau der Gustavsburg ausgegraben und von Merian 1646 abgezeichnet wurde.
Das ist doch eine bemerkenswerte Erkenntnis: In der Ginsheimer Gemarkung auf ehemals Kostheimer Gebiet im heutigen Gustavsburg befand sich offensichtlich ein Caput Stagni genanntes Römerkastel, was so viel heißt wie Haupt im Sumpf.
Nach den Kämpfen der römischen Truppen mit den freien Germanen siedelten sich nach der Völkerwanderung Burgunder und nach dem Sieg über die Alamannen 496 in der Nähe von Nauheim und Trebur12 die Franken unter Clodwig an.
Die Burgunder herrschten zu Beginn des 5. Jahrhunderts für ca. 40 Jahre in Worms und im Mainzer Becken bevor sie von Flavius Aétius und seinen hunnischen Hilfstruppen besiegt und in das Rhônetal umgesiedelt wurden.
Sollte laut Nibelungen-epos wahr sein, dass Hagen von Tronje den Goldschatz im Rhein versenkte dann stellt sich mir angesichts der Tatsache, dass er bis heute nicht gefunden wurde die Frage13, ob die Stelle nicht auch im Rhein vor Ginsheim zu suchen sein könnte.
Doch noch einmal zurück zu den Franken: Ein Großteil der heutigen Orte ist von den einströmenden fränkischen Siedlern gegründet worden.
Als früheste Dörfer gibt die Sprachforschung die heim-Orte mit Genetiv S wie Ginsheim an. Fränkische Funde am Rhein vor Ginsheim, der ehemaligen Tagweide vor der Autobahnbrücke und vor allem
Auf dem Holzweg stützen die Annahme, dass es schon eine Ansiedlung in unserer Gemarkung gab. Ein oder vielleicht auch mehrere solcher Gehöfte aber bleiben drei Jahrhunderte ohne einen namentlichen Nachweis.
Ungewöhnliche Schlüsse zieht der Lehrer und Heimatforscher Erich Neliba14 und legt die Pfalz „Cuffinstang“ von Karl dem Großen auf die Stelle der Schwedenfestung Gustavsburg.
Eine sensationelle These und ich hoffe, die Kostheimer können verzeihen, dass ich sie ausgesprochen gut finde.
Am 31. August 790 hat Karl der Große die Pfalz beurkundet und dort 795 eine Reichsversammlung abgehalten.
Fünf Jahre zuvor schenkt am 4. März 785 ein Adliger namens Nandhari für seinen Todesfall seinen Besitz zu Gennesheim15 samt fünf Unfreien dem Kloster Fulda.
Ob Nandhari hier lebte oder lediglich Besitzungen hatte ist im Fuldaer Urkundenbuch16 nicht vermerkt.
Aber legendenstiftend mag es nicht abwegig sein, dass ein Ginsheimer Karl dem Großen begegnet ist und mit Fisch oder Vieh das adlige Gefolge in der Pfalz versorgt hat.
Legen wir uns also fest: Nandhari ist der dritte geschichtlich bezeugte Ginsheimer.
Sehr geehrte Damen und Herren,
im Mittelalter unterstanden die Dörfer und Städte einem Herren, also einem Adelsgeschlecht.
Es gab jedoch auch welche, die unmittelbar dem Kaiser gehörten. Und das war mit der Villa imperii, dem Dorf Gennesheim der Fall.
Im 10. und 11. Jahrhundert war das benachbarte Trebur eine bedeutende Kaiser- Pfalz geworden. Hier wurde Heinrich IV. im Jahr 1053 zum König gewählt und von hier aus brach er 1076 zu dem berühmten Gang nach Canossa auf.
1184 hielt Kaiser Friedrich Barbarossa auf der Maaraue den Mainzer Hoftag mit angeblich 20.000 Rittern und Teilnehmern aus halb Europa und dem Balkan ab.
Bei einem solch gewaltigen Ereignis waren in der Region wohl alle Dörfer und Menschen in den Bann gezogen und nicht nur das.
Sie mussten das Fest finanzieren, Abgaben leisten, Fleisch, Fisch und Geflügel zu den Gelagen beisteuern, Personal abstellen und vielleicht auch pikante Dienste leisten.
Das Fehlen solcher Aufzeichnungen wundert zwar nicht, ist aber doch recht ärgerlich. Denn so könnte jedenfalls heute das eine oder andere Techtelmechtel eines Ritter-Hallodri mit einer schönen Ginsheimer Magd belegt werden.
Wäre das nicht eine Vorlage für einen Liebes- oder Kriminalroman, falls der in flagranti ertappte Ritter gemeuchelt in Ufer-Nähe der heutigen Schiffswerft gefunden ward?
Kehren wir in die geschichtliche Realität zurück, in das Jahr 1211. Da wird die „Villa Ginnesheim“ im Güterverzeichnis17 des Zisterzienser-Klosters Eberbach im Rheingau genannt.
1248 verpfändet König Wilhelm von Holland Ginsheim aus Geldnot an den Grafen Dieter von Katzenellenbogen und das Dorf kam nie mehr in den Besitz des Kaisers zurück.
Schon 1277 gehörte der Flecken dem Grafen Philipp von Falkenstein und Münzenberg.
Sechs Jahre später, am 08. Februar 1283 hat der Münzenberger das Patronatsrecht der Ginsheimer Kirche dem Zisterzienserkloster Patershausen in der heutigen Gemarkung Heusenstamm geschenkt.
Der erste namentlich erwähnte Vogt, also ein adeliger Beamter und Schiedsmann in gräflichem Auftrag, war 1281 Gysilbertus.
In einer Urkunde von 1275 teilen die Münzenberger in ihrer Grafschaft die Gerichte und Ginsheim wird ausdrücklich als Gerichtsort erwähnt.
Deshalb gab es zu dieser Zeit auch schon einen Schultheißen18. Aus dem Jahr 1319 ist uns mit Wernehrus Flecke erstmals auch ein Name bekannt.
133919 ist nachgewiesen, dass ein Ginsheimer Dorfgericht in der Mittagszeit „am Platz des weltlichen Gerichts“ und nach „Recht und Gewohnheit des Dorfes Ginsheim“ tagte und Schultheiß und Schöffen nach Landesgewohnheit gerichtet haben.
Dies besagt, dass Rechte und Pflichten der Einwohner bereits 1339 in schriftlicher Form in einem sog. „Weistum“ festgehalten worden waren. Darin war das Dorfleben erstaunlich streng geregelt.
Die erhaltenen Weistümer zeigen die Dorfgrenzen, Steuern, Rechte, Pflichten, Strafen und Verhalten zur Obrigkeit recht umfänglich auf.
Alleine die hoch interessanten Weistümer von 1500, 1521, 1641 und 1653 füllen einen gesonderten Vortrag.
Eine Vorschrift aber möchte ich doch in übertragenem Deutsch zitieren: Item weisen wir die Gemeinde an, daß die Höfe ihre Hunde an einem Seil führen und nit ablassen. Ob soliches geschehe, möge die Gemeinde soliches büßen nach ihrem Wohlgefallen.
Dieses Isenburgische Gesetz für Ginsheim aus dem Jahr um 1500 wurde übrigens bis heute nicht aufgehoben.
Meine Damen und Herren der Gemeindevertretung, Sie hätten die Satzung über das Anleinen der Hunde in der Gemarkung im Jahr 2008 nicht beschließen brauchen. W
ir haben seit 508 Jahren geltendes Recht. Und Herr Bürgermeister stellen Sie sich vor, Sie könnten das Bußgeld nach Ihrem Wohlgefallen festsetzen!
Meine Damen und Herren,
Ginsheims Herren waren die Grafen von Katzenellenbogen, die Falkensteiner, Münzenberger, die von Sayn, von Hanau, Cronberg und von Isenburg, um die wichtigsten zu nennen.
Seit 1600 gehörte der Ort zu Hessen-Darmstadt, weil es Heinrich von Isenburg dem Landgrafen Ludwig V. verkaufte.
Landbesitz hatten die Nonnen des Mainzer Altmünsterklosters, daher der Name Nonnenaue, die Universität Mainz, St. Alban in Mainz, das Kloster Eberbach, das Kloster zum Heiligen Geist in Mainz, das Mainzer St. Jakobskloster und viele weltliche Herren, beispielhaft die Familie von Molsberg, die über 600 Jahre Lehen oder Grundbesitz nachweisen konnten.
dieweilen die Kinder außer übel gezogen und nur Lust zur Gassenbüberey lernen und treiben
20 beschloss
Schultheiß Philipp Ort 1595, eine Schule einzurichten.
Das hatte Pfarrer Wilhelm Rommel 17 Jahre zuvor mit vier Knaben begonnen, die aber schon bald wieder zu Hause blieben.
Außer während acht Jahre im dreißigjährigen Krieg hatte Ginsheim immer einen Lehrer, ab 1842 gab es zwei Klassen und sechs Klassen im 1900 eingeweihten neuen Schulhaus, dem heutigen Rathaus.
Ginsheim hatte schon früh eine wirtschaftliche Bedeutung, beweist dies doch eine Anweisung des Darmstädter Land-Schreibers Hans von Zwingenberg21, der den dortigen Kellner22 anwies, am 6. November 1493 neun Malter Erbsen nach Ginsheim an den Rhein in das dortige Schiff zu liefern, damit sie der herrschaftlichen Küche der Katzenellenboger Grafen auf Rheinfels23 zugeführt werden.
218 Jahre später, am 08. Juni 1711 bekommt der Ginsheimer Hafen einen sehr pikanten Besuch. Die schwangere Geliebte von Landgraf Ernst Ludwig24, Charlotta Louisa von Forstner25, reist inkognito in Begleitung zwei landgräflichen Staatsbeamten26 27 mit dem Schiff nach Rotterdam, wo sie am 28. August den außerehelichen Sohn Friedrich Carl Ludwig zur Welt bringt.
Wäre das nicht Stoff für einen Darmstadt-Ginsheimer History-Roman?
Im 19. Jahrhundert zeugen die Gebühren für das Überwintern im Ginsheimer Rheinhafen von dessen Wirtschaftsfaktor. So kostete 187528 ein Liegeplatz für einen Ankernachen 1 Mark, für eine Rheinmühle 9 Mark und für ein Dampfschiff 36 Mark.
Im 1824 in Kaiserslautern gedruckten Kalender „Der lustige Zeit- Vertreiber“ ist zu lesen, dass im Winter 1822 ungefähr 50 große und kleine Schiffe aus Köln, Straßburg und aus Franken im heutigen Altrhein und im Schwarzbach überwinterten.29
Durch den Bau des Steindammes im Jahre 1838 und der Eisenbahn ab 1858 verlor Ginsheim als Güterumschlagplatz an Bedeutung, blieb aber weiter Haushafen der Schiffsmühlen, Marktnachen und später nach dem Ausbau als Altrheinhafen 1894 auch der „Ginsheimer kleinen weißen Flotte“30.
Geschäftstüchtig waren sie, unsere Vorfahren und sich der strategischen Lage des Dorfes an der Schwarzbachmündung sehr wohl bewusst.
So kam es, dass die Ginsheimer viele Jahre in heftigem Streit mit den Groß-Gerauern und Wallerstädtern lagen, ihnen die Weiterfahrt nach Mainz verweigerten und verlangten, ihre Waren und Güter auf Ginsheimer Nachen zu verladen.
Immer wieder musste die Darmstädter Obrigkeit eingreifen, so mit der Schifffahrtsgerechtigkeit von 1639.
Dort war vermerkt, dass bei kleinem Wasser die Nachen von Groß-Gerau wenig beladen bis nach Ginsheim fahren dürften, um dort zusätzlich mit Gütern, die auf dem Landweg dort hin gebracht werden sollten, beladen zu werden.31
Dafür durften die Groß-Gerauer dann vier Nachen unterhalten.
Am 11. August 1704 entschied Landgraf Ernst Ludwig, daß der Ginsheimer Christoph Dornau drei Jahre lang Schwarzbach und Landbach bis Wallerstädten zu seinem besten Nutzen befahren darf.
Er regelte auch, wie viele Nachen die Ginsheimer und Wallerstädter im Wechsel einsetzen durften.32
Dabei spielten neben wirtschaftlichen wohl religiöse Interessen eine große Rolle.
Anders ist es wohl nicht zu verstehen, wenn Ernst Ludwig untersagt, dass auf dem Gebiet der kurzmainzischen Astheimer weder von seinen Untertanen noch von den Astheimern Waren ein- und ausgeladen werden durften.
Der Wasserweg war für die Landwirtschaft und das Kleingewerbe äußerst wichtig.
Im Ried wurde von vielen Bauern Handkäse hergestellt, es fehlte aber in den Dörfern die Nachfrage. Also brachte man die Erzeugnisse auf den Wochenmarkt nach Mainz.
Deshalb haben die in Groß-Gerau und Umgebung hergestellten Handkäse bis heute noch die Bezeichnung „Mainzer Handkäse“33 und daran wollten die gewinnorientieren Ginsheimer natürlich profitieren.
Übrigens, in einem Verzeichnis34 um das Jahr 1700 zählt Ginsheim 67 Anwesen, davon 60 Hofreiten mit einem vom Schultheiß Traupel und dem Ortsgericht taxierten Gesamtwert von 22.289 Rheinischen Gulden.
Es gab zwei Brauhäuser, ein Gemeindebackhaus und ein Hirtenhaus. Zu Beginn des 30-jährigen Krieges zählte der Ort etwa 300 Einwohner, am Ende war er fast menschenleer, wie die Kirchenchronik berichtet.
Ginsheim hat sich danach nur sehr langsam erholt, denn 1694 wurden erst 147 Einwohner gezählt.
Meine Damen und Herren,
kennen Sie den Astheimer Provokationsgesang?
Am 13. September 1716 entsendet der hessische Landgraf einen Amtmann nach Ginsheim.
Er soll eine unglaubliche Provokation durch die katholischen Astheimer untersuchen, die am nächsten Tag mit ihren Nachen von dem Schwarzbach kommend an der Ginsheimer evangelischen Kirche nach Weisenau vorbeipilgern.
Jedes Jahr am 14. September schmetterten die Katholiken vor der evangelischen Kirche den Gesang so laut in Richtung Ortsmitte, dass es die Ginsheimer richtig ärgerte.
Doch die Astheimer bekamen von der landgräflichen Aktion Wind und trieben am Wallfahrtstag stumm betend an Ginsheim vorbei.
Einige Jahre später haben sich die Astheimer beim Kurfürsten darüber beschwert, daß ihnen von Soldaten an der Schwarzbachmündung bei der Wallfahrt Gewalt angetan wurde und sodann unterschreiben mussten, „künftig auf dem darmstädtischen Territorio solcher Gestalt nicht mehr singen zu wollen“35.
Der Gesang sollte durch „andächtig stille Gebete“ ersetzt werden, solange durch andersgläubiges Gebiet gefahren werde.
Dem Umstand, dass der alte freie Weg von Frankfurt nach Mainz gesperrt war verdankt Ginsheim am Montag den 26. Mai 1793 einen hohen, wenn auch nur kurzen Besuch.
Johann Wolfgang von Goethe wollte sich das Schauspiel der Belagerung der alten Reichshauptstadt Mainz nicht entgehen lassen und kam in das sehr zerschossene Ginsheim, wo gefüttert ward, setzte dann über die Schiffbrücke auf die Nonnenau, wo viele Bäume niedergehauen lagen.
Von dort auf dem zweiten Teil der Schiffbrücke über den größeren Arm des Rheins ging es über Bodenheim nach Ober Olm.
Die Schiffsbrücke nach Laubenheim war erst am 18. Mai aufgeschlagen worden und lag auf 76 Pontons.36
Eine bisher nicht beachtete geschichtliche Berühmtheit erlangt Ginsheim in diesen Tagen durch den Bau eines trojanischen Meerpferdes, das bestimmt war, die Insel Kopf vor der Bleiau zu besetzen.
Goethe berichtet verwundert von dem versteckt gehaltenen schwimmenden Holzkasten mit 2 Kanonen bestückt, dessen Steuerruder von Freund und Feind gleichzeitig zerschossen wurde, kaum daß es auf dem Rhein trieb und so bei Kastel unfern der Schiffbrücke nach Mainz strandete.
Auf der zu einem trojanischen Meerpferd umgebauten Prahm37 befand sich Major von Kaiserlingk vom Füsilier- Bataillon Legat mit 40 Mann38, die alle samt von dem jubelnden französischen Kriegsvolk am Ufer gefangen genommen wurden.
Meine Damen und Herren,
es hat Zeiten gegeben, da haben die Ginsheimer Schiffsmüller im Jahr über 200.000 Zentner Getreide39 gemahlen.
Besonders in trockenen Jahren war Hochbetrieb und die Taler rollten in der Schiffsmüller Säckel.
Die Bäche im Ried und im Odenwald trieben die dortigen Mühlen nicht mehr an, nur der Rhein führte genug Wasser und ließ die Ginsheimer Müller, die Gastwirte, Schmiede, Schreiner und Wagner gutes Geld verdienen.
Bis zum Bau des Steindammes lagen die Schiffsmühlen, damals allein 15, alle im Hauptstrom vor Ginsheim, danach im heutigen großen Rhein.
Die Transportwege vom Ort zu den Mühlen waren zwei Kilometer länger als zuvor und so wurde 1889 der Mühlkanal gebaut. Er verkürzte den Weg um einen guten Kilometer.
Die letzte Schiffsmühle wurde 1929 außer Dienst und im Winterhafen von Mainz unter Denkmalschutz40 gestellt. Sie wurde im 2. Weltkrieg Opfer eines Bombenangriffs. Und auch den Mühlkanal findet man heute nicht mehr.
Er wurde 1979/198041 mit Schlamm aus Schwarzbach und Altrhein verfüllt. Schade, dass damals die Zeit für eine Bürgerinitiative zur Erhaltung nicht reif war. Ich wäre heute mit in der ersten Reihe!
Bleiben wir beim Wasser und einem über die Jahrhunderte wichtigsten Berufe, des Fischers.
Schon im 13. Jahrhundert waren die Fischrechte schriftlich geregelt. Fischer und Schiffer gründeten im 15. Jahrhundert eine Ginsheimer St. Nikolaus-Bruderschaft42.
1769 bestand ein Vertrag, den Darmstädter Markt wenigstens einmal im Monat mit Fisch zu beliefern.
Wöchentlich brachten sie mehr als 100 Zentner nach Mainz. Rheinbegradigung, Dampfschifffahrt und die Ausgang des 19. Jahrhunderts immer wieder eintretende Schwarzbachverunreinigung ließen die Fischerei als Hauptberuf immer mehr zurückgehen.
Der letzte Ginsheimer Fischer im Nebenberuf war bis 1968 Heinrich Traupel.
„Los von Ginsheim!“ hieß die Parole.
Mit dem Bau der Eisenbahnbrücke der Ernst-Ludwig-Bahn nach Mainz, des Hafens 1858 und der Niederlassung der Firma Cramer & Klett entstand im Norden von Ginsheim innerhalb von vier Jahrzehnten im Gebiet der ehemaligen Schwedenfestung eine aufstrebende Industrieansiedlung mit wichtigen Firmen wie MAN, Kabel und Draht, Schiffswerft und Maschinenfabrik.
Eigentlich sollte die Bahnlinie von Mainz nach Laubenheim und von dort über den Rhein nach Ginsheim führen.
Die Eisenbahnbrücke stünde heute an der Altrheinmündung, ein Brückenpfeiler auf der Rabeninsel, der Bahnhof gegenüber Aldi und Rewe.
Doch die Planer hatten nicht mit dem Dickschädel der Ginsheimer Landwirte gerechnet, die sich mit Händen und Füßen dagegen wehrten, auch nur einen Morgen Land in Nähe des Dorfs für das ratternde Ungetüm zur Verfügung zu stellen, von dessen „furchterregender Geschwindigkeit unfehlbar Gehirnkrankheiten erzeugt werde“.43
Und das haben die Ginsheimer seitdem davon: der Bahnhof kam dort hin, wo er heute noch steht, nämlich in Gustavsburg!
Erste Signale für eine Trennung von Ginsheim kamen aus Mainz, wo sich der Verein Mainzer Kaufleute im Jahr 1896 für eine Eingemeindung von Gustavsburg stark machte.
1901 griff der neu gegründete Gustavsburger Bürgerverein im immer stärker formulierten Bewusstsein als Industrie- und Handelsplatz im Gegensatz zum bäuerlichen Ginsheim die Initiative auf.
Doch der Gemeinderat lehnte den Antrag am 16. Juli 1902 rundweg ab. Im Bürgerbegehren stimmten daraufhin 227 von 228 Gustavsburger Steuerpflichtige für die Loslösung von Ginsheim.
Doch die II. Ständekammer in Darmstadt entschied im Sommer 1903 gegen die Trennung.
Unter der Gewissheit, eine Loslösung Gustavsburgs oder eine Eingemeindung nach Mainz langfristig nicht verhindern zu können, beschloss der Gemeinderat am 14. November 1903 in Verhandlungen für eine Einverleibung der Gemeinde nach Mainz einzutreten.
Mit dem Tod des Mainzer Oberbürgermeisters Dr. Gassner, einem großen Befürworter der Eingemeindung, endeten im Jahr 1905 die Verhandlungen.
Nach dem 1. Weltkrieg war auch die Ginsheimer Bevölkerung mit der angestrebten Vereinigung einverstanden, versprach sie sich doch erhebliche Vorteile, u.a. einen Straßenbahnanschluss und immense Wohnungsbauförderung. Französische Besatzung und Weltwirtschaftskrise waren 1919 wieder ein Hinderungsgrund bis 1924 der Mainzer Oberbürgermeister Dr. Külb initiativ wurde.
Nach langen Verhandlungen stimmten am 28. September 1929 die Gemeinderatsmitglieder von Ginsheim- Gustavsburg bei 3 Nein-Stimmen für die Eingemeindung.
Am 01. Januar 1930 war die 1145 Jahre dauernde Selbstständigkeit in die Vororte Mainz-Ginsheim mit 1566 Bürgern und Mainz-Gustavsburg mit 1642 Bürgern übergegangen.
Der bisherige Bürgermeister Peter Laun und der Gustavsburger Beigeordnete Heinrich Rauch wurden als Ortsvorsteher eingesetzt.44
Viele, viele Menschen, meine Damen und Herren, wurden in den Jahrhunderten in Ginsheim geboren und begraben, viele, viele Menschen haben in Ginsheim- Gustavsburg eine neue Heimat gefunden, besonders auch nach dem 2. Weltkrieg, wo bis 1950 eine großartige Eingliederung von 1589 Flüchtlingen stattfand.
Gastarbeiter gründeten Familien, Aussiedler zogen in öffentlich geförderte Wohnungen und nahezu 1800 Menschen leben heute in Ginsheim-Nord.
Was ist also ein echter Ginsheimer?
Ich denke, frei nach dem Mainzer Original und Fassenachter Karl Köchy45, wenn die Enkel von de Lisbeth, vom Willem, von der Concetta und vom Murettin beim Spaziergang am Altrhein sich herzlich mit einem „guude wie“ guten Tag sagen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
ich freue mich auf die vielen interessanten Veranstaltungen zum 1225 Jahre alten Ginsheim.
Sollte ich das eine oder andere Datum oder gar eine wichtige Persönlichkeit der Geschichte nicht erwähnt haben oder Ihnen die Gewichtung der Historie falsch gesetzt sein, so mögen Sie mir verzeihen, ich werde versuchen, dies im Festvortrag zum 1275 jährigen Bestehen anders und besser zu machen.
Und übrigens darf ich Sie bis dahin auf zwei äußerst bedeutsame und gleichzeitig preiswerte Bücher hinweisen, die sich ausgezeichnet für Lese-Omas und -Opas zur Heimatkunde für die Enkel eignen:
Die Chroniken von Ginsheim-Gustavsburg aus den Jahren 1976 und 2006.
Herzlichen Dank, meine Damen und Herren, für Ihre Geduld und Aufmerksamkeit!
en echte Määnzerin
De Rentner Karl
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